„Auf dem Weg zur Datenmedizin?“ Medizinethisches Symposium im FoKoS

Auf großes öffentliches und wissenschaftliches Interesse stieß die Einladung des Forschungskollegs der Universität Siegen (FoKoS) zum Medizinethik-Symposium „Auf dem Weg zur Datenmedizin? Interdisziplinäre Herausforderungen für die Gesundheitsforschung und -versorgung“. Dabei wurde die Datenmedizin aus ethischer und rechtlicher Perspektive beleuchtet. Unser Rückblick auf die Veranstaltung fasst die Vorträge der anwesenden Experten und die wichtigen Fragen des Abends zusammen.

Der Abend im Forschungskolleg begann mit einer Einführung in das Thema Datenmedizin durch den Prorektor für Digitales und Regionales der Universität Siegen, Univ.-Prof. Dr. Volker Wulf. In seiner Begrüßungsansprache ging er auf die Chancen ein, die mit der Digitalen Medizin einhergehen und an der Universität unter anderem mit Blick auf die Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum behandelt werden. Zugleich griff Volker Wulf die Themen Digitale Souveränität und Informationelle Selbstbestimmung auf, die im Laufe der Veranstaltung immer wieder thematisiert wurden. Dabei zeigte sich, dass die Datenmedizin zwar einerseits für neue, moderne Versorgungsformen steht und die Zukunft der ländlichen Versorgung deutlich unterstützen kann. Andererseits sind mit ihr jedoch Befürchtungen verbunden, die beispielsweise den Datenschutz betreffen. Datenmedizin, so der Appell der anwesenden Experten, verlange deshalb eine medizinethische Betrachtung.

Digitale Medizin in Siegen

Prof. Dr. Rainer Brück, Stellvertretender Direktor des Forschungskollegs und Studiendekan der Lebenswissenschaftlichen Fakultät in Siegen, stellte in seinem Vortrag die Digitale Modellregion Gesundheit Dreiländereck vor. Dieses Forschungs- und Entwicklungsvorhaben wurde vom Forschungskolleg und der Lebenswissenschaftlichen Fakultät in Kooperation mit Kommunen, Landkreisen, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen entwickelt und soll zur Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung im ländlichen Raum beitragen. Denn: Insbesondere ländliche Regionen sehen sich mit dem drohenden Problem einer künftigen gesundheitlichen und pflegerischen Unterversorgung konfrontiert. „Das ist eine Tatsache, die wir nicht wegdiskutieren können“, so Brück. „Aufgrund der demografischen Entwicklung steigt zudem die Nachfrage nach ärztlichen Dienstleistungen. Datenmedizin und der clevere Einsatz von Digitalisierung können dabei helfen, dieses Problem erträglich zu machen.“ Rainer Brück machte dabei ganz deutlich, was Forschung und Technik leisten können und wollen – und was eben nicht: „Die Digitalisierung wird nicht mehr Ärzte schaffen und auch nicht weniger Nachfrage nach ärztlichen Dienstleistungen hervorrufen. Digitalisierung kann aber dazu beitragen, dass diese Diskrepanz weniger spürbar sein wird.“ In der Datenmedizin ginge es zudem nicht darum, Ärzte zu ersetzen. Die Hauptidee sei vielmehr, die Effizienz medizinischen Handelns zu steigern, zeitgemäße Modelle der Work-Life-Balance zu unterstützen und die Qualität in Diagnostik und Therapie zu verbessern.

Informationelle Selbstbestimmung und das Interesse des Gemeinwesens

„Die Datenmedizin aus ethischer und rechtlicher Perspektive – eine Einführung“ lautete der Titel des Vortrags von Prof. Dr. Dr. h.c. Carl Friedrich Gethmann, Seniorprofessor am Forschungskolleg und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Carl Friedrich Gethmann beschäftigte sich mit der informationellen Selbstbestimmung und verdeutlichte, dass das Thema vielschichtig und mit diversen Akteuren und Interessen verbunden ist, die den potentiellen Nutzen und Schaden der Datenmedizin unterschiedlich abwägen. Eine einfache, kohärente normative Gesamtbeurteilung für den Umgang mit Big Data ließe sich deshalb nicht formulieren – und ein perfekter Datenschutz sei ebenfalls nicht möglich. Maximaler Datenschutz könne zudem als irreführende Strategie beurteilt werden, weil durch diesen auf die Chancen, welche die Telemedizin bietet, verzichtet werden würde. Der Philosoph stellte außerdem die These in den Raum, dass die Gesamtheit aller Daten als eine Art Gemeingut verstanden werden könnte und betonte die Notwendigkeit, im Rahmen der Diskussion um informationelle Selbstbestimmung auch das Interesse des Gemeinwesens im Blick zu behalten. „Das heißt nicht, dass alles transparent sein soll und die Idee des Schutzes der Privatheit aufzugeben ist“, so Gethmann. „Wir reden allerdings über den Schutz der Privatheit – und nicht über das Objektgebilde, das man ‚die Daten‘ nennt.“

Hoffnungsvoll und kritisch: Die ethische Betrachtung der Datenmedizin

Prof. Dr. Peter Dabrock ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrates und Professor für Systematische Theologie (Ethik) am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. In seiner Keynote erörterte er, weshalb erfolgreiche Datenmedizin Ethik benötigt – und machte dabei deutlich, dass die Ethik weder verhindern noch endgültige Lösung anbieten, sondern vielmehr Perspektiven zur Gestaltung unserer Gesellschaft vornehmen soll. Wichtig sei, dass im Kontext der Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht nur ein paar Gewinner existieren, sondern wir alle von der Entwicklung profitieren. Dies ließe sich jedoch nur realisieren, wenn zivilgesellschaftliche Akteure und Handlungsakteure wie die Stakeholder im Bereich der Wirtschaft zusammenarbeiten. Peter Dabrock beleuchtete die Digitale Medizin aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und wies dabei sowohl auf die Chancen als auch auf die damit verbundenen Risiken hin. Ein großer Fortschritt seien etwa Services zur datengestützten Gesundheitsprävention oder die sogenannte Präzisionsmedizin, die zum Beispiel bei Krebspatienten durch den Abgleich von Gesundheitsdaten und die automatisierte Mustererkennung eine sehr genaue Diagnose vornehmen und die am besten geeignete Behandlung empfehlen kann. Zugleich wies Peter Dabrock auf die mit den gesammelten Daten verbundenen kommerziellen Interessen hin und machte deutlich, dass heutzutage alle Daten Gesundheitsdaten sein können. Um den künftigen durch die Digitalisierung angetriebenen Entwicklungen hoffnungsfroh und zugleich mit der nötigen Skepsis entgegenblicken zu können, müsse man den Menschen Datenkompetenz und Orientierungswissen vermitteln, damit diese dazu befähigt werden, als Co-Manager ihrer Daten zu agieren. Auch an der Bildung im Gesundheitsbereich müsse gearbeitet werden. Wichtig sei zudem, dass die Chancen der Digitalisierung nicht kleingeredet, ihr Einfluss und ihre Bedeutung zugleich aber nicht überschätzt würden: „Sie muss am Ende eine Dienstfunktion haben und darf die Arzt-Patienten-Beziehung, das persönliche Miteinander – selbst wenn es digital übermittelt wird – nicht ersetzen. Am Ende muss der Mensch im Mittelpunkt stehen.“

Die Digitale Medizin aus dem Blickwinkel der jungen Generation

Sebastian Schramm beleuchtete die Digitale Medizin aus dem Blickwinkel der jungen Generation. Er ist Bundeskoordinator für Gesundheitspolitik in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Auch für Schramm ist die Digitalisierung medizinisches Kernarbeitsthema und nicht mehr zu verneinen. Wichtiger als die Frage nach Chancen und Risiken der Digitalisierung an sich sei deshalb die Überlegung, wie die Potentiale konkret genutzt und die Risiken minimiert werden können. In diesem Zusammenhang machte Schramm jedoch auf die Schwierigkeit aufmerksam, dass ein Großteil der jungen Ärztegeneration über zu geringe Kenntnisse der telemedizinischen Versorgung verfüge. „Wenn das so bleibt, dann werden wir einen Qualitätsverlust in der medizinischen Versorgung erleiden. Denn die Technik entwickelt sich weiter – ob wir damit umgehen können oder nicht.“ Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland fordert deshalb, dass die Digitale Medizin in das Studium integriert und die Approbationsordnung angepasst wird. „Es geht uns um Kompetenzen im Umgang mit Technologie. Wir müssen als Arbeitende in einem Gesundheitssystem sicher werden im Umgang mit Technologie. Wir müssen das Potential und die Limitationen erkennen. Und als Teil der Gesellschaft müssen wir uns einbringen und mitgestalten können.“

Das Medizinethik-Symposium endete mit einer Podiumsdiskussion, bei der das Publikum die Möglichkeit nutzte, Fragen an die Redner zu stellen. Abschließend fasste FoKoS-Direktor Univ.-Professor Dr. Dr. Björn Niehaves zusammen: „Es wird klar, dass wir hier noch eine ganze Menge zu tun haben. Der gesamte Bereich der Datenmedizin bietet viel an Gestaltungspotential, bringt aber auch eine Gestaltungspflicht mit sich. Hoffnungsvoll stimmen sollte uns, dass verschiedene Institutionen, der Ethikrat und die Studiengänge, die wir hier in Siegen haben, sich bereits aktiv mit dem Thema beschäftigen und an Lösungsvorschlägen arbeiten. Mit der Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck und den Herausforderungen in der Region haben wir einen Handlungsdruck, aber auch eine Kraftquelle für unsere Forschungsprojekte.“

Das Medizinethik-Symposium war die Auftaktveranstaltung der FoKoS-Themenreihe „Mensch und Daten“, in deren Rahmen im kommenden Jahr umfänglich Fragen der Digitalisierung sowie der Datenerfassung diskutiert werden sollen.

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