DMGD-Winterkonferenz beleuchtet gesundheitliche Versorgungskonzepte der Zukunft

Um die Gesundheitsversorgung der Zukunft gerade im ländlichen Raum zu unterstützen, hat die Lebenswissenschaftliche Fakultät der Universität Siegen gemeinsam mit ihrem Forschungsschwerpunkt DMGD das Projekt „DataHealth Interregio“ auf den Weg gebracht. Am 8. Dezember 2021 trafen sich die am Projekt beteiligten Akteure zur Winterkonferenz, um aktuelle Entwicklungen und Trends im Bereich Digitale Gesundheit zu diskutieren.

„DataHealth Interregio – Digitale Unterstützung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum“ ist ein von der Lebenswissenschaftlichen Fakultät (LWF) der Universität Siegen und dem LWF-Forschungsschwerpunkt Digitale Modellregion Gesundheit Dreiländereck (DMGD) initiiertes Projekt, in dessen Rahmen Versorgungsstrukturen und ‑prozesse im Bereich Digitale Gesundheit verbessert werden sollen. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung einer patient*innenzentrierten und behandlungsfokussierten, digitalen Medizinplattform, die eine patient*innenseitige Erhebung und Übermittlung von Vitaldaten (Selfmonitoring) ebenso wie die Nutzung intelligenter, KI-gestützter Analysepotenziale für die behandelnden Ärzt*innen sowie die Integration telemedizinischer Fachberatung ermöglicht. Eine Besonderheit von DataHealth Interregio (DHI) besteht darin, dass das Modellvorhaben direkt für die Regelversorgung vorbereitet wird und mit einer realen Testphase in der Region Dreiländereck beginnen soll. Das Projektteam verspricht sich durch die Ergebnisse eine wirkungsvolle Unterstützung angesichts der Engpässe, die durch die demographische Entwicklung der Gesellschaft und den Rückgang der Akteure im Gesundheitswesen zu erwarten sind.

Aktuell wird im Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) darüber entschieden, ob DataHealth Interregio durch den G-BA gefördert wird. Im Januar 2021 hatte die Projektskizze im zweistufigen Innovationsfonds-Antragsverfahren die Aufforderung zum Vollantrag erhalten. Dieser wurde im Juli 2021 schließlich beim G-BA-Innovationsausschuss eingereicht. Mit einer Entscheidung wird noch dieses Jahr gerechnet.

 

Digitale Praxis – Ein gesundheitliches Versorgungskonzept für den ländlichen Raum mit Zukunft?

DataHealth Interregio wird durch ein breites Konsortium unterstützt, zu dem auch die AOKen NordWest und Rheinland-Pfalz/Saarland gehören. Außerdem konnte das Projektvorhaben zahlreiche Kooperationspartner überzeugen, darunter Landesministerien und Bezirksregierungen, Kreise und Kommunen, Forschungseinrichtungen, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Hausarztpraxen. Die verschiedenen Akteure kommen regelmäßig in Workshops und Konferenzen zusammen – zuletzt etwa im Rahmen der Sommerkonferenz #DataHealthRevisited.

Die Online-Winterkonferenz „Digitale Praxis – Ein gesundheitliches Versorgungskonzept für den ländlichen Raum mit Zukunft?“ bot den Konsortial- und Kooperationspartnern am 8. Dezember erneut die Möglichkeit zu Vernetzung und Austausch. Neben dem DHI-Projektvorhaben wurden im Rahmen der Konferenz auch aktuelle Entwicklungen und Zukunftstrends in der gesundheitlichen Versorgung im ländlichen Raum diskutiert. Hierzu stellte Prof. Dr. med. vet. Jan Ehlers (Universität Witten/Herdecke), der die Veranstaltung gemeinsam mit Dr. Olaf Gaus (DMGD) moderierte, direkt zu Beginn fest: „Digitalisierung und Daten sind für die Gesundheitsversorgung der Zukunft von großer Relevanz. Sie wird – da sind sich die Experten einig – datengetrieben sein.“ Im Rahmen der Veranstaltung wurde vor diesem Hintergrund erörtert, wie die „Digitale Praxis“ der Zukunft konkret aussehen könnte, welche Mehrwerte sich für Mediziner*innen und Patient*innen ergeben und welche Schritte zur Umsetzung nötig sind.

Einen ersten Impuls boten die Berichte der Vertreter der einzelnen DataHealth-Interregio-Arbeitsgruppen, die an der Universität Siegen angesiedelt sind: Intervention (Prof. Dr. Veit Braun), Vitaldaten (Dr.-Ing. Kai Hahn), Cloud & KI (Dr. Christian Weber), Digital unterstütze Praxis (Dr. Olaf Gaus), Dialogisches Feedback (Prof. Dr. Simon Forstmeier) und Evaluation (Dr. Thomas Neumann). Die Experten zeigten dabei auf, was durch Ansätze wie das Vitaldatenmonitoring heute schon machbar ist – und was in Zukunft noch möglich sein könnte.

„Hinsichtlich der Unterstützung der Gesundheitsversorgung und der neuen Möglichkeiten sollten wir nicht bei der Vitaldatenerhebung Halt machen, sondern schauen, ob wir im Gesundheitswesen Techniken der künstlichen Intelligenz für Datenauswertungsprozesse nutzen können, sodass auch der Umgang mit großen Datenmengen keine Restriktion mehr darstellt“, erklärte Dr. Olaf Gaus in diesem Zusammenhang. Um Vorhaben im Bereich KI vorantreiben zu können, sei auch die internationale Zusammenarbeit in der Universitätsmedizin ein wichtiger Faktor. Zuletzt hatten etwa die Universität Siegen und das Erasmus University Medical Center (EMC) in Rotterdam ihre Kooperation ausgebaut, um gemeinsame Forschungsvorhaben auf den Weg zu bringen.

Dr. Christian Weber stellte mit Blick auf die Gesundheitsversorgung der Zukunft fest: „Eine der Hauptmotivationen in der Geschichte der KI war immer die Gesundheit des Menschen – wie kann KI die Gesundheit des Menschen abbilden oder gar verbessern? Es gibt hier schon viele Möglichkeiten und Potentiale – wir müssen nur überlegen, womit wir anfangen.“

„Wir haben hier eine riesige Chance, nicht nur für den ländlichen Raum, sondern für die Gesundheitsversorgung generell“, stimmte Stefan Hundt (Bürgermeister a. D. Lennestadt, DMGD) zu, wies aber auch auf technische Hürden hin: „Damit wir innovativ voranschreiten können, muss die digitale Infrastruktur gegeben sein – und die ist in Deutschland noch ausbaufähig.“

 

Zukunftsvision Digitaler Zwilling

Ein Zukunftskonzept wurde im Rahmen der DMGD-Winterkonferenz besonders angeregt diskutiert: der Digitale Zwilling. Durch eine Intensivierung der Forschung im Bereich nicht-invasiver Sensortechnik könnten künftig neben den Daten, die sich bereits heute von Patient*innen erheben und übermitteln lassen, weitere Vitalparameter messbar gemacht werden. Die gesammelten Daten einer Patientin oder eines Patienten würden dann in einen digitalen Avatar fließen, über den sich neben dem aktuellen Gesundheitsstatus mithilfe KI-gestützter Diagnosen auch zukünftige gesundheitliche Entwicklungen darstellen ließen. So würde beispielsweise nicht nur ermittelt, wie der Diabetes-Status eines Patienten aktuell ist, sondern auch, wie dieser bei gleichbleibendem oder verändertem Lebensstil Jahre später aussehen könnte.

Für individuelle Befundungen, Anamnesen und die Beurteilung von Therapien bietet der Digitale Zwilling demnach viel Potential. Aber auch mit Blick auf die gesellschaftliche Gesundheitsversorgung kann diese „Patientenakte der Zukunft“ von großer Bedeutung sein. „Für das Population Health Management ist der Digitale Zwilling durch seinen prädiktiven Impact sehr relevant“, erklärte etwa Dr. Alexia Zurkuhlen (Gesundheitsregion KölnBonn e.V., HRCB Projekt GmBH, gewi-Institut für Gesundheitswirtschaft e.V.). „Durch die Möglichkeiten der Modellierung und Simulation könnten wir dadurch viel eher evidenzbasiert entscheiden und präventiv Maßnahmen ergreifen – etwas, dessen Bedeutung uns gerade im Zuge der Corona-Pandemie verdeutlicht wurde.“

Auch Dr. Rainer Feinen (Materna Information & Communications SE) hob die hohe Präzision, für die ein Digitaler Zwilling sorgt, positiv hervor: „Nehmen wir zum Beispiel die Angaben zur Medikamentendosis – die sind standardmäßig auf einen 75 kg schweren Mann bezogen. Auf Basis der durch KI aufgearbeiteten Daten kann aber für alle Patient*innen eine individuelle Empfehlung zur Verfügung gestellt werden.“ Über den Digitalen Zwilling könnte die Medikamentengabe sogar simuliert werden. „Bei der aktuellen Impfkampagne wäre das sehr hilfreich“, so Feinen. „Der Impfstatus ließe sich damit genauer nachvollziehen.“

 

Von der Patient*innenmobilität hin zur Datenmobilität

Hervorgehoben wurde im Rahmen der Winterkonferenz außerdem, dass es bei der Digitalen Praxis um eine Entlastung (und keine Ablösung) der Akteure aus dem Gesundheitswesen geht. Bei KI-gestützten Datenauswertungen sei es außerdem nicht das Ziel, alle Patient*innen über einen Kamm zu scheren, sondern die zukünftige Gesundheitsversorgung besonders effizient zu gestalten und von einer Patient*innenmobilität hin zu einer Datenmobilität zu kommen – nicht zuletzt durch den Ausbau intersektoraler Netzwerke, die neben Hausärzt*innen auch Fachärzt*innen und Kliniken sowie Personen aus der Pflege und andere Zuständigkeitsbereiche des Gesundheitswesens umfassen sollen.

Die Akzeptanz der Patient*innen, da waren sich die Anwesenden einig, sei für die Gesundheitsversorgung der Zukunft von höchster Wichtigkeit. „Patienten verdienen Empowerment und sollten Zugriff auf ihre Daten haben“, hielt Prof. Dr. Simon Forstmeier in diesem Kontext fest. „Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird auf der Beziehungsebene und in der Kommunikation neue Herausforderungen bringen. Wir erarbeiten Lösungen, damit alle Beteiligten von der Digitalen Praxis profitieren können.“

 

Gehandelt werden muss jetzt

Zum Abschluss der Winterkonferenz kommentierten die Expert*innen Dr. med Erik Becker (Mitglied des hausärztlichen Beirats im Projektvorhaben DataHealth Interregio) Dr. Alexia Zurkuhlen, Dr. Rainer Feinen und Stefan Hundt die vielen Innovativen Ansätze, die im Laufe des Abends vorgestellt worden waren, ehe schließlich die Zuschauer*innen ihre Fragen an die Anwesenden stellten. Dabei wurde noch einmal verdeutlicht, dass innovative Ansätze wie die Digitale Praxis angesichts der demographischen Entwicklungen in Gesellschaft und Gesundheitswesen möglichst schnell auf den Weg gebracht werden müssen. „Wenn wir jetzt nicht reagieren und uns digital aufstellen, wird uns das Gesundheitswesen in fünf Jahren um die Ohren fliegen. In fünf Jahren werden wir dafür keine Zeit mehr haben“, mahnte in diesem Zusammenhang Prof. Dr. Veit Braun.

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