Delegationsprojekt „eHealth First“ Netphen plant Studie zu lokalem telemedizinischen Versorgungskonzept

Was auf Landesebene mit dem virtuellen Krankenhaus des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales nunmehr an den Start gegangen ist und durch das mittlerweile abgeschlossene Innovationsfonds-Projekt TELnet@NRW der RWTH Aachen vorbereitet worden war, soll nun in Zusammenarbeit des Forschungskollegs (FoKoS) und der Lebenswissenschaftlichen Fakultät (LWF) der Universität Siegen mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie der Stadt Netphen, übersetzt auf die lokale Ebene, erforscht und später umgesetzt werden.

„Netphen will sich auf den Weg machen und eHealth betreiben“, bestätigte Bürgermeister Paul Wagner bei einem gemeinsamen Austausch im Forschungskolleg (FoKoS) der Universität Siegen, an dem auch weitere Ratsmitglieder und Angestellte der Stadtverwaltung teilnahmen. Während des Gespräches wurden die Rahmenbedingungen für ein telemedizinisches Versorgungskonzept in Netphen interfraktionell diskutiert, das später schrittweise durch die Einbeziehung weiterer Akteure im Gesundheitswesen intersektoral erweitert werden soll.

Innovatives Pionierprojekt

Auf lokaler Ebene ist das Projekt „eHealth First“ ein innovatives Pionierprojekt in Deutschland. Medizinische Angestellte sollen mittels Telemedizin die Patienten-Anamnese im Delegationsverfahren durchführen. Zwar ist man in der Schweiz, in den Niederlanden und in England mit telemedizinischen Verfahren schon einen Schritt voraus, dennoch ist derzeit kein vergleichbares Konzept in ländlichen Regionen Deutschlands im Delegationsverfahren installiert. Durch die Umsetzung des telemedizinischen Versorgungskonzeptes wird sich nach Erwartung von Experten auch ein neues Berufsbild im Gesundheitswesen herausbilden, das im Bereich von Digital Health intersektorale Bedeutung haben wird. Um das Verfahren jetzt voranzutreiben, soll auf vorhandene Ressourcen zurückgegriffen werden. Dazu soll zunächst medizinisches Praxispersonal weitergebildet werden, um unter Delegation etwa telemedizinisch Anamneseverfahren bei bereits praxisbekannten Patienten durchzuführen. Damit dies schon bald gelingt, soll im Netphener Projekt gemeinsam mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten ein digitaler Katalog entwickelt werden, der das Praxispersonal bei der Anamneseeinschätzung unterstützt. Zudem sollen gemeinsam geeignete Weiterbildungsformate für nicht-ärztliches Personal entwickelt werden.

Delegation und Künstliche Intelligenz einbeziehen

Ein solcher Katalog unterstützt nicht-ärztliches Personal im Delegationsverfahren, also unter Aufsicht der Ärztinnen und Ärzte, Symptome zu erkennen, einzuordnen und gesundheitliche Maßnahmen vorzuschlagen. Darüber hinaus können Patienten über ihre digitale Gesundheitsakte der Arztpraxis Zugriff auf die eigenen Gesundheitsdaten gewähren. Dort werden verschiedene Vitaldaten, die die Patienten nach Absprache mit dem behandelnden Arzt regelmäßig selbst erheben, hinterlegt und können von der Praxis abgerufen werden. Durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) werden solche Daten durch maschinelle Algorithmen ausgewertet. Die KI bietet Behandlungsempfehlungen an, die das Praxispersonal bei der telemedizinischen Anamnese zusätzlich unterstützen. Entscheidungen über die Behandlung von Patienten bleiben jedoch nach wie vor bei den Ärzten.

Niedergelassene Ärzte entlasten

Die Studie sieht vor, dass in ausgewählten Netphener Praxen, die das Projekt unterstützen, auch erste praktische Tests zum telemedizinischen Delegationsverfahren durchgeführt werden. Das Ziel ist es zunächst, für eine Entlastung von Arztpraxen zu sorgen, indem Routinefälle rascher und unaufwändig behandelt werden können unter Einbeziehung des weitergebildeten nicht-ärztlichen Fachpersonals. Ein Beispiel dafür kann etwa ein Patient sein, der sich wegen Erkältungssymptomen von zu Hause per Videotelefonie mit seiner Hausarztpraxis in Verbindung setzt und – nach Freigabe durch den Arzt – direkt vom Praxispersonal ein elektronisches Rezept zur Behandlung des grippalen Infektes sowie eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf digitalem Wege zugesandt bekommt. Die Mediziner werden durch dieses Verfahren entlastet und verschaffen sich durch Delegation mehr Zeit für behandlungsintensive Fälle. Sollte in der Anamnese durch das Praxispersonal festgestellt werden, dass Patienten in der Praxis vorstellig werden müssen, sind durch den auftretenden Effekt der verbesserten Patientenstromlenkung schneller Termine frei und lange Wartezeiten werden reduziert.

Zukünftig schwieriger, Ärzte zu gewinnen

Sebastian Zimmermann (CDU) hatte das Thema „eHealth“ für seine Heimatstadt Netphen in die Diskussion gebracht, nachdem das FoKoS und die LWF unter dem Dachprojekt der „Digitalen Modellregion Gesundheit Dreiländereck“ (www.dmgd.de) nach einem kommunalen Partner für die telemedizinische Delegation gesucht hatten. Zwar sei man augenblicklich medizinisch noch gut versorgt in Netphen, so Zimmermann, doch man müsse man damit rechnen, dass es zukünftig zunehmend schwieriger werde, niedergelassene Ärzte für ländliche Regionen zu gewinnen. Die dazu vorliegenden Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe seien durchaus besorgniserregend.

Ratsfraktionen halten an Umsetzung fest

Da aufgrund der aktuellen Haushaltslage der Stadt Netphen eine direkte Finanzierung über die Stadt ausgeschlossen ist, so der Netphener Bürgermeister, soll die einjährige Studie, aus welcher dann ein Entwicklungsprojekt hervorgehen soll, über Dritte finanziert werden. Zimmermann hat bereits erste Gespräch mit potentiellen Fördermittelgebern geführt. Ratsmitglied Helga Rock, Fraktionssprecherin Bündnis 90 / Die Grünen, plädierte zudem für einen symbolischen Beitrag durch die Stadt Netphen. Die Sprecher der Netphener Ratsfraktionen erklärten, man wolle an einer Umsetzung des Projektes festhalten. Dazu solle in Kürze eine schriftliche Absichtserklärung durch die Stadt erfolgen. Mit dem Delegationsmodell „eHealth First“ möchte die Stadt Netphen auch assoziierter Partner des vom FoKoS beabsichtigten Förderantrages beim Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses sein. Hierbei handelt es sich um die Umsetzung eines Datenmedizinkonzeptes in die Regelversorgung. Weitere Aspekte der digitalen Versorgung finden dort Berücksichtigung, u. a. der sichere Datentransfer und die KI-gestützte Datenauswertung.

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